Predigt von Professor Dr. Karl Schlemmer beim Abschiedsgottesdienst der Gemeinde St. Kunigund in Erlangen-Eltersdorf am Dienstag, 06. Dezember 2005
„Lass dich nicht ängstigen, nicht dich erschrecken, alles geht vorüber, Gott allein genügt.“
So schreibt die große spanische Mystikerin, Teresa von Avila, zu Beginn der Neuzeit in ihr geistliches Tagebuch. Gewiss, alles geht vorüber, und immer muss uns Gott allein genügen, aber es ist das natürlichste Recht des Menschen, zu fragen, warum und wie alles Irdische vorübergeht, warum und wie alles Irdische Vorübergang ist, auch das Leben eines Menschen. Am nächsten berechtigt zu dieser menschlichen Frage ist zunächst der Mensch, der unserem Konrad Wegner in den letzten Jahrzehnten bis hinein ins Sterben am nächsten stand, dann aber seine Schwester mit ihrer großen Familie, jedoch genauso Ihr Schwestern und Brüder alle aus der Gemeinde St. Kunigund hier in Eltersdorf, die er mit Gottesleidenschaft, priesterlicher Begeisterung und ohne Schonung seiner Gesundheit neben seiner hauptberuflichen Tätigkeit als Studiendirektor am Helene-Lange-Gymnasium in Fürth von Grund auf aufgebaut und Euch allen sein Herzblut geschenkt hat. Uns alle drücken ein tiefer Schmerz und stumme Trauer, und so suchen wir ein Recht nach dieser Frage herzuleiten, warum dies alles, warum dieses qualvolle Leiden und Sterben unseres lieben Konrad? Doch gehen wir weiter zurück: Warum musste ihn vor über drei Jahren diese heimtückische und tragische Krankheit befallen, die dem priesterlichen Sorgen und Arbeiten ein langsames Ende setzte und das herzliche Miteinander mit seiner Gemeinde nun ohne Rücksicht zerrissen hat? Ja, warum nur?
Es ist ungemein schwer, auf diese Frage eine Antwort zu geben, die keine weiteren Fragen mehr offen lässt. Um die Geheimnisse in Gott, auch um die Geheimnisse des Willens Gottes hat der große heilige Augustinus ein Leben lang gerungen. Die Tragik und das tausendfache Leid einer Weltzeit, die unter den Stürmen der Völkerwanderung aufschrie, hat er in seinem Herzen getragen. Auch den persönlichen Trennungsschmerz hat er wie jeder andere durchleiden müssen, als seine voller Hingabe für ihn sorgende Mutter Monika jäh und tragisch ihm genommen wurde, der er ungemein viel, letztlich auch seinen christlichen Glauben, zu verdanken hatte. Aber auch er kam zu keiner anderen Erklärung als dieser: Der Wille Gottes kennt kein Warum.
Wir alle empfinden dieses Wort ganz sicher zu hart, zu unversöhnlich, gerade bei der Art und Weise, wie unser lieber Konrad, der sich für „sein“ St. Kunigund geradezu verzehrt und deshalb auch einen unbändigen Lebenswillen entwickelt hat, die letzten Jahre hat leiden müssen und jetzt so kurz vor seinem 70. Geburtstag und dem Weihnachtsfest Abschied von dieser irdischen Welt und von all dem Großen, das er geschaffen hat, nehmen musste. Da steigen wir doch lieber in die Tiefen der Stadt Rom, in die unterirdischen Friedhöfe der frühen Christen, in die Katakomben. Oft und oft lesen wir da Grabinschriften wie diese: „Hier ruht unser lieber Verstorbener, weil Christus es so gewollt hat“. Aus solchen Worten klingt ein ganz festes Vertrauen auf den, der alles gut macht. Da ist das fordernde und anklagende Warum dem selbstverständlichen Glauben gewichen, der uns sagt: Gott weiß, was uns nützlich ist, und er gibt es uns, weil er gütig ist. Diese Haltung kommt auch bereits zum Ausdruck in einem Vers des Buches Kohelet aus der Weisheitsliteratur des Ersten (Alten) Testaments. Dort heißt es: „Alles hat seine Zeit. Es gibt eine Zeit der Freude, eine Zeit der Stille, eine Zeit des Schmerzes und der Trauer und eine Zeit der dankbaren Erinnerung“ (Koh 3, 1f).
Und diese Zeit der dankbaren Erinnerung an Euren Seelsorger ist nun für Euch alle als lebendige Kirchengemeinde St. Kunigund in Eltersdorf angebrochen, und sie hat auch für mich begonnen. Zu Beginn des Wintersemesters vor über 48 Jahren sahen Konrad und ich uns im 0ktober 1957 zum ersten Mal im Priesterseminar in Bamberg. Dabei stellten wir fest, dass zwischen uns „die Chemie stimmt“, und so wurde daraus eine lebenslange und tiefe Freundschaft. Er war es dann auch, der mich für die Studentenverbindung Fredericia im CV zu Bamberg gewann. Als harmloser Klosterschüler wusste ich zunächst nicht, was so eine Studentenverbindung ist. Trotzdem ließ ich mich dann bereits im Januar 1958 rezipieren und habe dies bis heute nicht bereut. Während unseres gemeinsamen Studiums haben Konrad und ich uns gegenseitig motiviert, was dann auch zu vorzüglichen Ergebnissen geführt hat. Im März 1963 wurden wir durch unseren damaligen Erzbischof Josef Schneider zu Priestern geweiht; er im Bamberger Dom am 10. März, ich eine „lange“ Woche später am 17. März in St. Ludwig in Nürnberg. Dann traten wir unsere erste Kaplansstelle an, Konrad in Naila in der Nähe der damaligen Grenze zur DDR, ich in Bad Windsheim. Da die Distanzen weit über 100 km betrugen, sahen wir uns leider recht selten. Doch im September 1965 wurden wir beide nach Nürnberg versetzt; er, der davon schon wusste, war gerade zu Besuch bei meinen Eltern in Nürnberg und konnte mir die für mich höchst erfreuliche Mitteilung machen. Klar, dass dann der von meiner Mutter zubereitete „Berg“ von Wurstbrötchen schnell vertilgt war. Konrad war zum Kaplan in St. Anton berufen, und ich zum Kaplan in der unmittelbaren Nachbarpfarrei St. Elisabeth. Jetzt kamen wir wieder sehr häufig zusammen und zogen auch verschiedene gemeinsame Projekte durch. Doch im Jahr 1969 zog es ihn in den Schuldienst nach Fürth und zum Aufbau einer Katholischen Kirchengemeinde in Eltersdorf, und ich begann zwei Jahre später endlich meine Universitätslaufbahn, zunächst in Würzburg und dann ab 1983 in Passau. Und es waren gerade meine Passauer Jahre, die uns nun wieder eng miteinander verbanden. Er hatte größtes Interesse an den von mir veranstalteten Symposien und Kongressen und war ein treuer Teilnehmer bis hinein in die letzte Zeit. Durch seine integrierende Art hat er auch immer wieder auf mich eingewirkt, doch nicht zu kritisch und hart mit den Zuständen in der Kirche und beim kirchlichen Bodenpersonal umzugehen. Allerdings habe ich mich nicht immer daran gehalten. Und so war es für mich auch selbstverständlich, während der Zeit seiner größeren 0perationen seine Vertretung in Eltersdorf zu übernehmen. Und als er ab dem Herbst 2004 gesundheitlich nicht mehr in der Lage war, den Dienst der Liturgie und Verkündigung zu vollziehen, habe ich sehr gern meine über 30jährige seelsorgerliche Mithilfe in der Pfarrei Hersbruck abgebrochen und für ihn diesen Dienst verrichtet und inzwischen auch „seine“ Eltersdorfer lieb gewonnen.
Konrad Wegner und ich sind noch im Pontifikat von Papst Johannes XXIII. und in der Zeit des Zweiten Vatikanischen Konzils zu Priestern geweiht worden. Dieser Aufbruch in der Kirche hat uns geprägt, und Konrad hat die von Papst Johannes mehrfach angesprochenen „Zeichen der Zeit, die es zu erkennen gilt“, stets richtig erkannt und ist daran gegangen, hier ein großartiges, weitsichtiges und rings herum anerkanntes Werk aufzubauen; denn so sagte er gern: Die Kinder und Familien sind die Zukunft von Kirche und Gesellschaft. Leider hat er sich immer wieder gegen das Unverständnis, gegen die Kurzsichtigkeit und Mutlosigkeit vieler Verantwortlicher in der Bamberger Diözesanleitung durchboxen und durchkämpfen müssen. Vier Namen aber möchte ich nennen, die anders dachten, ihn zutiefst schätzten und immer wieder ermutigten: das waren zunächst unser verstorbener Erzbischof Josef Schneider, der uns beide ja zu Priestern geweiht hat, dann unser Bundesbruder Weihbischof Martin Wiesend, des weiteren sein Herzogenauracher Landsmann Prälat Klemens Fink und schließlich unser früherer Erzbischof Karl Braun, der mir dies am Sonntag am Telefon nochmals ausdrücklich bestätigte. Aber auch der Präsident des Bundesamtes für Migration und Integration in Nürnberg, Dr. Albert Schmid, war bei seinem Besuch hier in Eltersdorf von seinem Vorhaben, ein „Haus für Umwelt und Familie“ zu errichten, ungemein begeistert und von Konrad’s Persönlichkeit tief beeindruckt, wie er mir vor kurzem noch persönlich sagte. Dazu ist es nun nicht mehr gekommen. Ja, Konrad hatte noch viele Pläne und Ideen, er war nicht unterzukriegen und immer seiner Zeit voraus und auf seine Art ein Prophet. Deshalb musste er leider auch in vielfacher Hinsicht das Prophetenschicksal teilen, nämlich nicht verstanden zu werden. Doch dies tat seinem 0ptimismus und seinem Tatendrang keinerlei Abbruch, wenngleich es ihm zuweilen bitter wehtat, dass diese Verständnislosigkeit nicht im politischen und gesellschaftlichen Bereich zu finden war, sondern sich in den kirchlichen Chargenrängen breit machte.
Beim Bekenntnis unseres Glaubens in der sonntäglichen Messfeier sprechen wir immer wieder: „Ich glaube an das ewige Leben“. Das besagt, dass der Tod letztlich nicht das Ende ist; denn die Toten sind gar nicht eigentlich „tot“, sondern sie leben. Sie sind nur in ein anderes, in ein neues Leben vorangegangen. So konnte ich dem lieben Konrad auch auf seinem Sterbebett ins 0hr sagen: „Du brauchst keine Angst zu haben; denn Du hast für das Reich Gottes und für die Menschen Großes geschaffen. Lass Dich in die Hände unseres barmherzigen Gottes fallen, der wird dich auffangen. Und wir sehen uns dann wieder im neuen Leben“. Und da er nicht mehr sprechen konnte, schaute er mich intensiv mit seinen dunklen Augen an, so dass ich denke, er hat es verstanden. Auch der Völkerapostel Paulus wollte deswegen gar nicht vom Sterben schreiben, und in seinen Briefen finden wir dieses Wort, diesen Begriff höchst selten. Er redet vielmehr vom „Entkleidet werden“ und vom „Überkleidet werden“, von der Hingabe des irdischen und vom Empfangen des überirdischen Lebens. Im Tod wird das, was an uns sterblich, was vorübergehend ist, aufgenommen vom Leben, das immer währt. Und genau deshalb sollen wir uns nicht ängstigen und erschrecken lassen, wenn alles Irdische vorüber ist, dann genügt uns allein Gott.
Mit diesen meinen schlichten und einfachen Worten wollte und will ich eine Weile mit Dir, liebe Marlies, sein. „Eine starke Frau, wer wird sie finden?“ (vgl. Spr 12), so lesen wir im alttestamentlichen Buch der Sprichwörter. Konrad hat sie in Dir gefunden. Denn was Du in all den langen Jahren ihm auf vielerlei Weise Gutes getan hast, wie Du ihn im Verlauf seiner schweren Krankheit begleitet, betreut und gepflegt hast und wie Du ihm beim Sterben nahe warst, das kann nur eine starke Frau. Vergelt’s Gott dafür! Und auch Euch Eltersdorfern möchte ich verbunden sein und, so gut ich kann, mittragen an der Last Eures Schmerzes, es ist ja ebenso mein Schmerz als langjähriger und enger Freund. Doch legen wir all unseren Schmerz in Gottes gütige Hände, richten wir aber auch jetzt bereits unseren Blick in die Zukunft und öffnen wir uns den „Zeichen der Zeit“. Ich denke, dies ist ganz im Sinn unseres lieben Konrad, der ja ein ganz energischer, unbeirrbarer und engagierter Mann der Ökumene war. Und als ein sensibler „homo politicus“ hat er nach der Wiedervereinigung sofort Kontakte geknüpft hinüber in die jungen Bundesländer und sich für die chancenreiche, aber auch schwierige kirchliche Situation drüben existentiell interessiert; das wiedererstandene Kloster Helfta bei Lutherstadt Eisleben, wohin ich ihn zweimal mitgenommen habe, war für ihn ein spiritueller 0rt mutigen Aufbruchs in einer Gegend, in der es nur noch 9% Christen gibt. Ein kurzer, von Hoffnung getragener Text des evangelischen Schriftstellers Jochen Klepper, den die verbrecherischen Nationalsozialisten zusammen mit seiner jüdischen Familie in den „Freitod“ getrieben haben, fasst nun auf treffliche Weise zusammen, was uns in diesen Tagen bewegt:
Der du allein der Ewge heißt
und Anfang, Ziel und Ende weißt,
im Zuge unserer Zeiten:
Bleib du uns gnädig zugewandt
und führe uns an deiner Hand,
damit wir sicher schreiten.